„Ley de Cospedal, vergüenza nacional!” erscholl es am 21.02.2015 aus hunderten von Mündern in der Altstadt Toledos. Als nationale Schande bezeichneten die Demonstranten den Vorschlag zur Gesetzesänderung von María Dolores de Cospedal, Ministerpräsidentin der Autonomen Gemeinschaft Kastilien-La Mancha, und fordern die Rücknahme des Gesetzesntwurfs.
Die Gesetzesänderung beinhaltet viele umstrittene Punkte und das Kollektiv Plattform gegen das Jagdgesetz hat deshalb vor Gericht Einspruch gegen die Gesetzesänderung eingelegt. Doch nicht zu allen Punkten hat das Gericht den Einspruch der Gesetzesgegner zugelassen. Nicht, weil die Punkte nicht diskussionswürdig wären, sondern weil es schlichtweg zu viele waren, um alle erneut auszudiskutieren. Die Gesetzesgegner mussten sich deshalb auf 10 Punkte festlegen, gegen die sie Einspruch erheben konnten. Besonders strittig und deshalb im Fokus stehen die Legalisierung des Abschusses von frei laufenden Haustieren, die Erlaubnis, dass Kinder ab 14 Jahren bereits mit Waffen umgehen und diese benutzen dürfen, sowie das Zutrittsverbot, das Menschen ohne Jagdlizenz zukünftig während der Jagdsaison das Betreten der als Jagdgebiet ausgewiesenen Flächen verwehren wird.
Als rückständig und mittelalterlich bezeichnen die Gegner der Gesetzesänderung diesen Gesetzesentwurf. Dem kann ich mich nur anschließen. Ganze Landstriche, die zukünftig von Oktober bis Februar nur noch von einigen wenigen Menschen, – Jägern- betreten werden dürfen? Kinder, die bereits im Schulalter den Umgang mit scharfen Waffen lernen und diese auch benutzen dürfen? Streunende Hunde und Katzen, die vom Menschen als unnütz befunden, ausgesetzt und sich selbst überlassen werden und nun bald legal als Streuner abgeschossen werden dürfen? toledo07Ein seltsam herrschaftlich anmutendes Denken und ein Hohn für all jene, die tagein, tagaus dem Elend der zahlreichen Streuner begegnen und versuchen, den Tieren zu helfen und durch Aufklärungskampagnen, Erziehung und Vorbildfunktion ein Umdenken der jüngeren Generation zu erreichen. Zudem seltsam engstirnig gedacht für ein Land, das wirtschaftlich in Schieflage ist und mit diesem Gesetz einen Großteil seiner Bevölkerung (aber auch z.B. Biker, Wanderer und Erholungssuchende aus anderen Ländern, sprich: Touristen!) derart benachteiligt zugunsten einer privilegierten Minderheit.
Doch auch in Spanien hat die Jägerschaft eine große Lobby und ist ein finanzstarker Wirtschaftszweig. Und wie heißt es so schön: wer die Musik bezahlt, bestimmt die Melodie… Nicht viel anders als bei uns in Deutschland. Auch hier hat die Jägerschaft die Politik größtenteils gut im Griff, doch bleibt dies zumeist eher unbemerkt von der breiten Masse der Bevölkerung, da die Beschneidungen in der Regel nur einzelne Bevölkerungsgruppen betreffen (Stichwort z.B. freilaufende Hunde in Wald und Flur).
Doch das Leid der Tiere in Spanien begegnet einem jedem auf Schritt und Tritt. Ausgemergelte und verletzte (Jagd)Hunde laufen an einem vorbei, im Straßenrand findet man Kadaver derer, die nicht schnell genug den Autos ausweichen konnten und bei Spaziergängen in verlassenen Gegenden findet man angekettete, in Fallen geratene oder sich selbst überlassene Tiere. Grund genug für eine immer größer werdende Anzahl an Menschen, sich gegen den verächtlichen Umgang mit Tieren aufzulehnen und für die Rechte der Tiere stark zu machen. Rund 40 Naturschutz- und Tierschutz-Organisationen haben sich im Kollektiv der Plattform gegen das Jagdgesetz zusammengetan und rufen zu Protestmärschen in verschiedenen Städten Kastiliens auf.
Bereits am 08.02.2015 fand ein Protestmarsch in Madrid statt, 14 Tage später trafen sich die Aktivisten nun in Toledo. Weitere 50 Naturschutz- und Tierschutzorganisationen und zahlreiche Menschen waren dem Aufruf gefolgt und nach Toledo gekommen. Über 90 Reisebusse und zahlreiche PKWs besetzten jeden verfügbaren Parkplatz rund um die Altstadt von Toledo und mehrere hundert Menschen und Tiere sammelten sich vor den Toren der Altstadt.
Zahlreiche Demonstranten waren mit ihren Tieren gekommen, Galgos, Podencos, Bracken, Pointer, kleine und große Rassehunde und Mischlinge und sogar ein zahmes Hängebauchschwein namens Franky begleiteten die Demonstranten. Viele der Tiere waren ehemalige Streuner und / oder ausgediente Jagdhunde, ausgesetzt oder ausrangiert und ins Tierheim abgeschoben. Das Gebiet um Toledo ist eine Hochburg der Jagd und dementsprechend in Tierschutzkreisen berüchtigt für das Elend der Hunde dort. 92% (!) der unbebauten Flächen werden als Jagdgebiet genutzt und in Toledo wird jährlich die höchste Anzahl an Jagdlizenzen vergeben. Dementsprechend ist auch der Prozentsatz der „abgängigen und unnütz gewordenen“ Jagdhunde dort so hoch wie kaum irgendwo anders. Auch die PROA hat in all den Jahren ihres Bestehens bereits etliche Male Hunde aus Toledo aufgenommen, zumeist in absolut desolatem Zustand, teils aus Beschlagnahmungen aus Massentierhaltungen/Animal Hoarding (Beschlagnahmungen sind dort selten genug, man kann sich also vorstellen, in welchem Zustand die Tiere dann schon waren), teils mühselig eingefangen, da die Tiere so schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht hatten.
Deshalb war sich Minerva auch anfangs gar nicht sicher, ob wirklich viele Menschen dem Aufruf der Plattform gegen das Jagdgesetz folgen würden. Nichtsdestotrotz machten wir uns mit Minerva, Mariangeles, Isabel und weiteren freiwilligen Helfern der PROA auf den Weg nach Toledo. Und umso überraschter und glücklicher waren wir, als wir all die Menschen sahen, die mit Spruchbändern und Megaphonen aufmarschierten. Neben den Tierschutzvereinen, die sich der vielen herrenlosen Hunde und Katzen in Spanien annehmen, waren auch Wildtierschützer (Stichwort der „böse Wolf“, der ja trauriger Weise auch bei uns in Deutschland im Moment wieder für Furore sorgt) und etliche Naturliebhaber und Hobbysportler erschienen, die zukünftig keine Chance mehr haben, sich während der Jagdsaison legal in der Natur aufzuhalten. Man bedenke, 92% der unbebauten Flächen sind in Toledo als Jagdgebiet ausgewiesen. Was bleibt da für die Wanderer und Biker? Die Runde durch den Stadtpark?! Wir trafen viele liebe Bekannte und es blieb genügend Zeit, sich über die Tierschutzarbeit auszutauschen. Petra und ich lernten auch Susanna kennen, eine Tierschützerin, die sich auf das Einfangen von streunenden Hunden spezialisiert hat und unter anderem auch unseren Castor sowie jüngst Galga Ivori sichern konnte. Eine bemerkenswerte Persönlichkeit mit unglaublicher Ausdauer, Geduld und Mut.
Eine große Menschenmasse hatte sich bei unserem Eintreffen bereits am Parque de la Vega versammelt. Unter ihnen auch viele Familien mit ihren Kindern, was mich als Deutsche im ersten Augenblick verblüffte. Gelten Demos doch bei uns in der Regel nicht gerade als geeignete Familienveranstaltung…
Begleitet von Fotografen und sogar einem Fernsehteam ging der Protestmarsch dann los, vorbei an der Puerta de Bisagra durch die Altstadt bis hinauf zur Plaza de Zocodover. Von Megaphonen und Trillerpfeifen unterstützt riefen wir unsere Botschaft hinaus:„¡Ley de Cospedal, vergüenza nacional! ¡Esta ley la vamos a parar!“ (Gesetz von Cospedal, eine nationale Schande! Dieses Gesetz werden wir stoppen!) und verschafften uns hoffentlich nicht nur bei den Menschen Gehör, die uns dort begegneten. Zahlreiche Spruchbänder und Plakate der einzelnen Organisationen machten deutlich, dass es um mehr als „nur“ das Leben streunender Haustiere geht.
Die gesamte Veranstaltung blieb friedlich, die Polizisten am Wegesrand schauten scheinbar unbeteiligt auf uns und die vielen Hunde in unserer Mitte. Was mögen sie gedacht haben? Die erstauntesten Blicke ernteten wir auf der Plaza de Zocodover von den Insassen des Doppeldecker-Busses, in dem einige Touristen zur Stadtrundfahrt durch Toledo saßen. Ob ihnen bewusst ist, dass Toledo nicht nur eine wunderschöne historische Altstadt hat, sondern auch heute noch von einem geradezu mittelalterlichen Umgang mit Tieren geprägt ist?
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich die Anwesenheit der Hunde mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtet habe. Natürlich war es für viele der Hunde purer Stress, in dieser lauten Menschenmenge mitzugehen und den sah man ihnen auch deutlich an. Und doch war es so, dass gerade die Tiere viel Aufsehen erregten, und dass wirklich alle auf die mitlaufenden Tiere achteten. Um offensichtlich gestresste Hunde (vornehmlich die bekanntermaßen eher sensiblen Galgos) wurde mehr Platz gelassen und man vermied es, in ihrer Nähe Trillerpfeifen oder Megaphone zu benutzen. Viele der Podencos, Bracken und Pointer wirkten hingegen eher aufgeregt bis unbekümmert und wuselten an der Leine hierhin und dorthin. Sicherlich ein entscheidender Wesenszug, der viele Menschen für diese Rassen einnimmt.
Auf der Plaza de Zocodover trugen die Sprecher der Plattform, Miguel Angel Hernandez, Lluvia Rojo und Noelia Seller schlussendlich, unterstützt von einer Gebärdensprecherin, das Manifest vor, das sich zusammenfassen lässt in den Sätzen des Plakats:¡NO PERMITAS QUE PRIVATICEN LA NATURALEZA Y VULNEREN LOS DERECHOS DE LOS ANIMALES Y LOS NUESTROS CON UNA LEY DEL MEDIEVO! (Lassen Sie nicht zu, dass die Natur privatisiert wird und die Rechte der Tiere und unsere Rechte durch ein mittelalterliches Gesetz verletzt werden!
Miguel Angel Hernandez betonte, dass sie bis zur letzten Instanz gehen werden, um diesen Gesetzesentwurf noch abzuschmettern. Ich hoffe, sie schaffen es und ich bin froh, dass ich die Gelegenheit hatte, an dieser Demonstration teilzunehmen.
Ley de Cospedal, vergüenza nacional! Esta ley la vamos a parar!
Pressestimmen:
http://www.eldiario.es/clm/Toledo-llena-voces-caza-Cospedal_0_359064441.htm
http://es.euronews.com/teletipos/2952148-un-millar-de-personas-segun-convocantes-y-600-segun-delegacion-piden-que-se-retire-la-ley-de-caza/
http://www.abc.es/toledo/20150223/abcp-califican-fracaso-manifestacion-contra-20150223.html
http://eldiadigital.es/not/127763/mateo-anima-a-asistir-a-la-manifestacion-contra-la-ley-de-caza/
© Nicole Zinn